Im Club der «gesichtslosen Eurokraten»

Kroatiens verhaltener Jubel beim EU-Beitritt

publiziert: Dienstag, 9. Jul 2013 / 09:43 Uhr / aktualisiert: Dienstag, 9. Jul 2013 / 10:50 Uhr
Verkehrsknotenpunkt der Strassenbahnen am Ban-Jelačić-Platz, Zagreb, Kroatien.
Verkehrsknotenpunkt der Strassenbahnen am Ban-Jelačić-Platz, Zagreb, Kroatien.

Als Zagrebs berühmte Uhr zum Auftakt des neuen Monats zum ersten Mal schlug, machten sich die Kroaten für ein neues Kapitel in der turbulenten Geschichte ihres Landes bereit.

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Festumzüge säumten die Strassen und ein riesiges Feuerwerk erleuchtete den Abendhimmel. Die Spitzenpolitiker aus Brüssel perfektionierten noch schnell ihr Kroatisch, um die 4,5 Millionen neuen Mitglieder der Europäischen Union in ihrer Muttersprache willkommen zu heissen.

Doch kaum schaltet man die Fernsehkameras ab, ist der Durchschnittskroate gar nicht mehr so begeistert vom EU-Beitritt, wie ich bei meinem jüngsten Besuch in Zagreb erfahren konnte. Vom Ladenbesitzer über Barkeeper bis hin zum Blumenhändler oder Bäcker: Sechs von zehn Kroaten, die ich befragte, waren der Ansicht, dass die EU für ihr Land eine schlechte Option sei. Zwei sagten, sie wüssten es nicht oder es sei ihnen egal. Immerhin zwei glaubten, die Mitgliedschaft hielte für beide Seiten Vorteile bereit.

Furcht ein zweitrangiger Staat zu werden

Das ist kaum ein Vertrauensvorschuss eines Landes, von dem man annehmen würde, es hätte durch den EU-Beitritt mehr zu gewinnen als zu verlieren. Doch forscht man genauer nach den Gründen für ihren Pessimismus, wird klar, wovor sich die Kroaten am meisten fürchten: ein zweitrangiger Staat neben den finanziell schwachen Nachbarn des Mittelmeerraums zu werden.

Einige Kroaten, die ich interviewte, hegten Bedenken als "Arbeitspferd Deutschlands" zu enden; andere glaubten, dass ihr Land der EU viel zu spät beitrete und die gebotenen Vorzüge inzwischen gar nicht mehr so attraktiv seien wie früher. Und während die Regierung Kroatiens ihre Bürger widerwillig in die EU schleppt, wird durch die ambivalente Haltung und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten immer mehr das Zutrauen in eine Staatengemeinschaft untergraben, deren erste Mitglieder bereits damit drohen, sie wieder zu verlassen − siehe Grossbritannien.

Sind wir doch einmal ehrlich: Fragt man die Europäer, würden die meisten unumwunden zugeben, dass Kroatien seinen Platz in der Gruppe verdient hat − allein schon vom kulturellen Standpunkt aus betrachtet. Doch sieht man sich die Wirtschaft an, sind die Zahlen beängstigend: Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 50 Prozent und das Land steckt das fünfte Jahr in Folge in der Rezession. Bei einer Tasse bitterem kroatischen Kaffee fragten sich zwei junge Geschäftsleute mit grosser Ironie, warum ihr Volk einen entsetzlichen Bürgerkrieg auf sich nahm, um die hart erkämpfte Souveränität nun den gesichtslosen Eurokraten zu überlassen.

Das Lockmittel: 11 Milliarden Euro

Es stimmt, so sagten sie, dass etwa 11 Milliarden Euro aus den EU-Umstrukturierungsfonds für Kroatien bereitstehen, doch ebenfalls erwarte das Land haufenweise Bürokratie, das den kleinen aufstrebenden Unternehmen den Garaus machen könne. Zudem drohen Streitigkeiten über einer Vielzahl anderer Themen: dem Verbot von Kroatiens berühmten Prošek-Wein, um den italienischen Namensvetter Prosecco zu schützen, oder die Sorge über die EU-Pläne, Hochzeiten zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern zu erlauben. Diese Streitpunkte werden vor allem dann problematisch, wenn sich auf beiden Seiten kein Wachstum einstellt.

Zehn Jahre nach der Pfeife der Brüsseler zu tanzen, hat den Lebensstandard der meisten Kroaten nicht erhöht. Als Folge dessen ist auch die Unterstützung für den EU-Beitritt im Land zurückgegangen. Bei einem Referendum im letzten Jahr unterstützten 66 Prozent der Kroaten die EU-Mitgliedschaft, doch als Kroatien nun endlich beitrat, befürwortete weniger als die Hälfte der Bürger diesen Schritt. Das ergaben die jüngsten Umfragen.

Junge Talente könnten abwandern

Mit gerade einmal 12.971 US-Dollar ist das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf armselig im Vergleich zu den anderen EU-Ländern. In der Tschechischen Republik liegt es bei 18.579 US-Dollar und in Deutschland sogar bei 41.512 US-Dollar - ein Beweis dafür, dass Kroatien einen langen Weg vor sich hat, um die Reichenliste Europas nach oben zu klettern. Und noch bevor Kroatien in den Genuss der Vorzüge des grossen EU-Handelsraums kommt, könnte das Land seine klügsten Köpfe verlieren. Junge Talente nutzen vielleicht die Chance und wandern ins Ausland ab, um so einem Land mit den niedrigsten Durchschnittslöhnen Europas zu entkommen. Letzten Monat gestand mir der kroatische Premierminister Zoran Milanovic − selbst ein begeisterter EU-Anhänger − in einem Interview, dass er die Abwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte mit am meisten fürchte.

Auferstanden aus der Asche Europas blutiger Balkankriege und etliche Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist Kroatien nun der zweite Staat des ehemaligen Jugoslawiens, der sich nach Slowenien für den EU-Beitritt qualifiziert hat. Zwar kann die Mitgliedschaft im Eliteclub das Land vor weiteren Unruhen auf dem Balkan schützen, doch die Kroaten sind unsicher, ob dieser Weg ihnen auch eine Möglichkeit zum Wohlstand bietet. Führt man sich einmal das Beispiel Sloweniens vor Augen: Fast ein Jahrzehnt ist vergangen, seitdem das Land der EU und der Gemeinschaftswährung beigetreten ist. Heute steht das Bankenwesen kurz vor dem Zusammenbruch und das Land droht das nächste Zypern zu werden.

Eine Mitgliedschaft in der EU ist nicht länger eine Garantie für Wohlstand. Eine Lektion, die Kroatien vielleicht auf die harte Tour lernen muss. 

Über Nina dos Santos:
Nina Dos Santos moderiert die tägliche Wirtschaftssendung World Business Today auf CNN International. Für den Nachrichtensender hat sie bereits aus Brüssel, Paris und Rom über die EU-Schuldenkrise berichtet und führende Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft interviewt, darunter IWF-Chefin Christine Lagarde, die Premierminister von Schweden, der Tschechischen Republik und Luxemburg sowie José Manuel Barroso, den Präsidenten der EU-Kommission.

(Nina dos Santos, CNN International/CNN-Today)

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