Thema:
Ukraine begleicht Teil der Gasschulden
Samstag, 31. Mai 2014 11:30 Uhr
Kriegsrhetorik
keinschaf aus Wladiwostok (2826 Kommentare seit Sa, 09.04.2011)
Die mainstream-Systempresse veröffentlicht heute, pünktlich auf die Pfingstfeiertage, einen Kampagnenartikel der allerübelsten Art über die Ukraine.
Schon das Portrait des Interviewten kommt einem glitschig wie ein Aal entgegen. Der Mann ist "Osteuropaexperte", "vielfach geehrter Historiker"..... hat natürlich schon irgendwelche Menschenrechtspreise garniert, studierte in Hastdunichtgesehen und - war Mitglied der KPD.
Es ist weniger die Parteizugehörigkeit, als das viele Lametta, das einen vorsichtig machen muss. Denn Ehre und Preisung erhält man auf dieser Welt nicht umsonst, schliesslich hat auch Obama einen Friedensnobelpreis erhalten.
Der Artikel ist als Interview aufgemacht, ist aber kein richtiges Interview. Es ist die Art von Fragen, die Journalisten stellen, wenn sie jemandem eine Plattform geben möchten.
Das gesamte "Interview" im Tagesanzeiger vom 31.5.2014.
Interviewer: "Präsident Petro Poroschenko ist gewählt, die ukrainischen Truppen kämpfen in der Ostukraine. Wie schätzen Sie die Situation ein?"
Zitat Schlögel: "Es wäre schrecklich, wenn der Konflikt in einem Blutbad enden würde. Aber dass der ukrainische Staat versucht, auf seinem Territorium sein Gewaltmonopol durchzusetzen, ist naheliegend und richtig."
Moment. Er wurde nach einer Einschätzung der Lage gefragt. Aber er beginnt zunächst einmal mit einer lautmalerischen Spekulation, die dem empfindlichen Leser die Haare zu Berge stehen lässt - ein Blutbad.... Gefolgt von einer Rechtfertigung der Staatsgewalt. Und weiter:
Zitat Schlögel: "Die Banden, die sich als politisch motivierte Separatisten ausgeben, sind zu allem entschlossen. Ich war eben in der Ukraine, auch im Osten."
Es wird also jetzt dramatisch! Er suggeriert, den Banden hautnah begegnet zu sein, denn er "war eben in der Ukraine, auch im Osten". Wirklich? Weiter:
Zitat Schlögel: "Die Millionenstädte Charkiw und Dnjepropetrowsk waren ruhig, die Sommernächte fast unwirklich schön. Aber nach Donezk traut sich keiner mehr. Geiselnahmen sind dort ein gutes Geschäft.
Die Separatisten sind bezahlte Leute, Kriminelle, Desperados, Afghanistan- und Tschetschenienkämpfer. Sicher sind sie aber nicht die viel zitierte «russische Minderheit», die sich gegen einen «ukrainischen Faschismus» wehrt."
Er war also in der Geburtsstadt Tymoshenkos. Die Universitätsstadt, die gar nicht umkämpft ist. War er auch im Kampfgebiet? Nein, denn "nach Donetsk traut sich keiner mehr". Also ER zumindest nicht. Aber er weiss ALLES über die Separatisten dort.
Und zwar alles schlechte - ohne dort gewesen zu sein. Das wäre etwa dasselbe, wie wenn ich von St.Gallen aus die Tessiner als Banditen bezeichnen würde, ohne je dort gewesen zu sein. Zweite Frage:
Interviewer: "Dann gibt es keine russische Minderheit?"
Zitat Schlögel: "Diese ganzen Legenden – besser gesagt: Lügen –, die das russische Fernsehen 24 Stunden am Tag verbreitet, muss man entschlossen zurückweisen.
Es gibt keine russische Minderheit, die in der Ukraine unterdrückt wird. Die Ukraine ist so bilingual wie kein anderes Land in Europa! Faschismus und Antisemitismus in der Ukraine – das ist eine Erfindung der russischen Propaganda, die an Volksverhetzung grenzt.
Ich war jetzt in Kiew, Charkiw und Dnjepropetrowsk. Die Leute gehen ihrer Arbeit nach, die Stimmung ist entspannt, aber man schaut, was in den Nachbarstädten passiert.
Die Charkiwer sind stolz auf ihre schöne Stadt, in der Russisch als regionale Amtssprache anerkannt wurde; und die jüdische Gemeinde von Dnjepropetrowsk ist stark und selbstbewusst.
Der Westen muss jetzt alle Kräfte zusammennehmen, um der Propaganda Sergei Lawrows, des russischen Aussenministers, entgegenzutreten und klar zur Ukraine zu stehen."
Hä? Das wäre jetzt eigentlich der Moment, wo man sich fragen muss, wovon der Mann eigentlich spricht. Er bestreitet die Existenz von mehreren Millionen Ukrainern Russischer Ethnie in Donetsk und Luhansk - notabene von Dnepropetorsk aus.
Er bezeichnet sie als Legende, so, wie auch das von der Fascho-Interimsregierung erlassene Verbot Russischer Sprache wohl nur eine Legende, Pardon, er korrigiert sich; eine LUEGE war, eine derer wahrscheinlich, die "das Russische Fernsehen 24 Stunden am Tag verbreitet.
Kleiner Hinweis: er selbst lügt an dieser Stelle, denn die Interimsregierung hat alle Russischen Staatssender schon vor Wochen abschalten lassen.
Dann folgt ein schwärmerischer geistiger Erinnerungs-Ausflug durch die Städte, in denen er gerade Urlaub gemacht hat, vergisst nicht, dabei darauf hinzuweisen, dass Russisch als regionale Amtssprache anerkannt worden sei, um jeden Zweifel, ob genau das nicht noch vor
einigen Wochen ganz anders ausgesehen hatte, zu ersticken.
Und um dann im darauffolgenden Satz - als gäbe es da für ihn einen Zusammenhang - einen Aufruf an den gesamten Westen zu machen, der "Propaganda Sergei Lawrows" entgegenzutreten. Von welcher Propaganda er da spricht, hat er während des Schwärmens über die jüdische Gemeinde völlig vergessen.
Nächste Frage:
Interviewer: "Was kann der Westen tun?"
" In Charkiw habe ich einen ukrainischen Klavierstimmer getroffen, der auch als Sniper ausgebildet ist und in Afghanistan im Einsatz war. Der sagte mir: «Sie verstehen nichts vom Krieg.» Er hatte völlig recht.
Ich bin ein Kind der Friedenszeit, ich habe von militärischen Dingen keine Ahnung. Aber in Donezk und Luhansk haben sich Profis des Krieges eingefunden, Spezialisten des Tötens, Feinmechaniker des Todes.
Gegen sie nützen keine Demonstrationen, kann man nichts ausrichten mit Reden.
Etwas allerdings weiss ich doch: Europa und die USA dürfen sich nicht auseinanderdividieren lassen. Man muss geschlossen, konsequent und klug auftreten. Und endlich wach werden!"
Sollte man sich von einem "Experten", der aus mehreren hundert Kilometer Entfernung über einen Krieg schreibt, den er AUCH nur vom Hörensagen kennt (wie er gerade zugegeben hat), sagen lassen, man würde schlafen?
Ich bin mir ganz sicher, seit Ausbruch dieses Konflikts mehr Stunden damit verbracht zu haben, Informationen von ALLEN Seiten zu sammeln. Ein Klavierstimmer, der auch mal Militärdienst geleistet hat, war allerdings nicht dabei - ich habe selbst "gedient", wie es dieser Deutsche wohl ausdrücken würde.
Man merkt hier bereits, worum es diesem Mann eigentlich geht: er möchte Stimmung machen. Er möchte die Leute darauf einstimmen, was östlich des Gebiets liegt, in das er sich nicht getraut hat, sei des Teufels. Mit anderen Worten: er will Kriegsstimmung verbreiten, HASS in den Bäuchen der Leute sähen.
Und ich muss zugeben.... bei mir scheint es ihm zu gelingen. Allerdings nicht in der Richtung, wie er sich das gedacht hat.
Die nächste Frage des Interviewers, der nur noch eine Statistenrolle spielt:
"Was haben wir verpasst?"
Schlögel: "Man kann nach dem, was jetzt in der Ukraine passiert ist, nicht zum Business as usual zurück. Der Konflikt ist auch keine Neuauflage des Kalten Krieges; dieser fusste auf dem Gleichgewicht des Schreckens.
Der Kalte Krieg wies eine gewisse Berechenbarkeit auf, die mit der Symmetrie von Ost und West zu tun hatte. Jetzt ist die Situation anders, asymmetrisch, weniger berechenbar.
Wladimir Putin zündelt, er ist das, was man früher einen Kriegsbrandstifter genannt hat. Er weiss, dass der Westen nicht die Option des Militärschlags hat und spielt mit dieser Ohnmacht immer wieder. Er führt uns vor, und wir sind nicht darauf gefasst."
Ich sehe das 180° anders als dieser Schlögel. Den Kriegsbrandstifter sehe ich in diesem Herrn Schlögel und ich sehe, dass die Leute hier im Westen vor allem nicht auf so eine perfide Nummer, wie er sie abzieht, gefasst ist. Dass ich mit dieser Einschätzung Recht habe, zeigt die nächste Frage:
Interviewer: "Ist Putin derzeit nicht versöhnlicher gestimmt?"
Schlögel: "Hier ist ein Präsident, der vor der Kamera gesagt hat, dass die Armee, die die Krim besetzt hat, gar keine Armee sei, sondern Leute, die sich ihre Uniformen in einem Secondhandladen besorgt hätten.
Putin behauptet, überall, wo Russisch gesprochen wird, habe er das Recht und die Pflicht, Russlands Interessen zu vertreten, auch militärisch.
Putin trägt grosse Verantwortung für die jetzige Lage, in der die Situation rasch ausser Kontrolle geraten und in ein grosses Gemetzel mitten in Europa führen kann. Er ist offenbar bereit, sein Spiel weiterzutreiben. Das sieht nicht nach Versöhnung aus.
Hier verdreht er in unglaublicher Weise die Worte, die er anschliessend Putin in den Mund legt. Hoffentlich vergisst dieser Schlögel nicht, dass er auch Verantwortung trägt, für all die Lügen und die Volksverhetzung, die er verbreitet.
Interviewer: "Wieso geht Wladimir Putin solche Risiken ein?"
Schlögel: "Niemand sieht in das Gehirn Putins hinein. Aber wenn ich mir einen Reim darauf machen soll: Statt Russland aus der kulturellen und moralischen Krise, aus der ökonomischen Sackgasse herauszuführen, riskiert er militärische Abenteuer.
Es ist für ihn einfacher, eine militärische Operation durchzuführen, als das grosse Russland zu modernisieren. Ausserdem kennt er die Schwäche des Westens: dessen militärische Ohnmacht.
Und vielleicht ist er auch nicht mehr Herr des Verfahrens, vielleicht ist das im Moment niemand, auch nicht der kleine Kreis aus Petersburger Zeiten, der die Krimannektion beschlossen hat.
Es wird sehr schwierig, sich von der abschüssigen Bahn zu retten, auf die Putin Russland geführt hat. Die Sache ist noch lange nicht zu Ende!
An dieser Stelle muss selbst der ihm freundlichst eingestellte Leser feststellen: eine einseitigere, voreingenommenere, stereotype, falsche, verlogenere, hinterlistigere und bösartigere Schilderung, als von diesem "Experten" hat man noch selten gelesen!
Ein Gnom, der in einer Gnomenstadt auf Reisen war, über Menschen das Urteil fällt, denen er nie begegnet ist und über einen Staatspräsidenten in schäbigster und hinterhältigster Weise richtet, der mit Sicherheit weniger Schuld an dieser Auseinandersetzung trägt, als die EU,
die USA und insbesondere auch Deutschland, sein Heimatland.
Bitte verschont die Bevölkerung vor solchen Experten! Man darf ja eine andere Sicht vertreten, aber das ist keine Sichtweise, das ist reine Propagandarhetorik dieses Professors!
Wenn ich mir vorstelle, dass unsere heutige Jugend nun auch in der Schweiz Vorlesungen solcher Deutscher Geschichtsprofessoren besuchen, wird mir übel.
Karl Schlögel, 1948 bei Memmingen geboren, ist ein vielfach geehrter Historiker (zuletzt mit der Puschkin-Medaille, dem Werfel-Menschenrechtspreis und dem Hoffmann-von-Fallersleben-Preis). Er studierte in Berlin, Moskau und Leningrad, war in den Siebzigern in der KPD aktiv und schrieb 1980 über das Scheitern der Partei. Der emeritierte Professor für osteuropäische Geschichte an der Europa-Universität Viadrina nahm eben am Thinking-Together-Kongress in Kiew teil. (ked)