Die Spannung im Energiemarkt steigt weiter
Zürich - Während grosse Energieversorgungsunternehmen (EVU) den regulatorischen und ökonomischen Wandel der Energiebranche als Chance sehen, erkennen kleine Unternehmen darin eine Gefahr. Einigkeit herrscht in der kritischen Beurteilung der Arbeit der Regulierungsbehörde ElCom. Allen gemeinsam ist die Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung der Liberalisierung in der Schweiz noch nicht geschaffen sind.
Spannungsanstieg
Durch den stetigen Anstieg des Stromverbrauchs in Kombination mit der erwarteten Versorgungslücke nehmen die Herausforderungen für die schweizerischen EVU zu. «Die Spannung im Schweizer Energiemarkt wird weiter steigen. Der fortschreitende Wandel durch die regulatorischen und ökonomischen Veränderungen verlangt von den Unternehmen Anpassungen, um den langfristigen Geschäftserfolg zu sichern», erklärt Ralf C. Schlaepfer, Partner und Leiter des Branchensektors Energie und Versorgung von PricewaterhouseCoopers Schweiz.
Wandel für Kleine ein Risiko
Während grosse und ertragsstarke EVU in den regulatorischen und ökonomischen Veränderungen eine Chance erkennen, stellt der Wandel in der Wahrnehmung der kleinen Unternehmen ein Risiko bezüglich Eigenständigkeit im Markt dar. Privatrechtlich organisierte EVU erachten im Gegensatz zu öffentlich-rechtlichen Unternehmen den Wandel als interessante Chance. Unabhängig von Grösse oder Eigentümerstruktur beschreibt ein Grossteil der EVU die Erfahrungen mit der Regulierungsbehörde ElCom als nicht befriedigend und erachtet die Voraussetzungen für den Erfolg der Liberalisierungsbestrebungen (Akzeptanz der Regulierungsbehörde, transparentes Vorgehen und stabile Rahmenbedingungen) als noch nicht gegeben.
Preissteigerungen erwartet
Die befragten Unternehmen gehen wie bereits im vergangenen Jahr erneut von einer Preissteigerung aus. Mehr als die Hälfte der diesjährigen Studienteilnehmer erwartet während der nächsten Jahre Preiserhöhungen von bis zu 20 Prozent. Nur eine Minderheit der Unternehmen erwartet Preisreduktionen. Diese werden vorwiegend mit den Netznutzungsentgelten in Verbindung gebracht. Vergleiche mit europäischen Strompreisentwicklungen sowie die Analyse von Terminmarktpreisen an der European Energy Exchange (EEX) bestätigen die Erwartungen der Schweizer EVU bezüglich steigender Strompreise. Ausserdem wird die allgemeine Konvergenz und Erhöhung der europäischen Elektrizitätspreise auf die Schweiz einen unmittelbaren preissteigernden Einfluss haben. Es gilt jedoch zu beachten, dass das heutige Schweizer Strompreisniveau im europäischen Vergleich nach wie vor tief ist.
Konfliktpotenzial
«Die Veränderungen in der Schweizer Energiebranche zwingen Eigentümer und Unternehmen zum Hinterfragen ihrer Strategien. Dabei muss auf eine Abstimmung zwischen Eigentümerinteressen und Unternehmensstrategie geachtet werden», sagt Ralf C. Schlaepfer. Vor allem grosse EVU stellen fehlende Konsistenz und Zielorientierung sowie beschränkte Anpassungen der Eigentümerstrategien an sich verändernde Marktbedingungen fest. Die Interessen der kleineren EVU decken sich hingegen mehrheitlich mit jenen ihrer Eigentümer, was in der häufig stärkeren Einbindung in die öffentlichen Strukturen begründet sein könnte.
Unterschiedliche Gewichtung
Unabhängig von der Grösse der EVU erachten die EVU Dienstleistungen im Zusammenhang mit Ablese- und Abrechnungstechnologien (Smart Metering), innovative und individualisierte Produktpaletten, neuartige Preismodelle, ein breites Angebot an Ökostrom sowie Contracting als wichtige strategische Pfeiler. Die Analyse der Kundenbedürfnisse wird von allen EVU als kritischer Erfolgsfaktor genannt. Dieser hohe Stellenwert lässt sich mit der durch die Liberalisierung ermöglichten Wahlfreiheit der Konsumenten erklären. Ausserdem ist die Optimierung der Energiebeschaffung vor dem Hintergrund der Versorgungssicherheit für alle Unternehmen von zentraler Bedeutung. Einigkeit herrscht zudem in Bezug auf die Notwendigkeit der Nutzung von Kernenergie. Eine Divergenz in den strategischen Stossrichtungen zwischen grossen und kleinen EVU besteht bei Themen wie Marketing, Ausbau der geografischen Präsenz, neue Absatzkanäle, Handelsaktivitäten und nationales Wachstum. Sie werden hauptsächlich von grossen EVU als wichtig eingestuft.
Grösse wird sich durchsetzen
Die befragten EVU gehen von einer weiteren Branchenkonsolidierung aus. Diese Erwartungen werden auch durch Analysen der europäischen Elektrizitätskommission zur Marktkonzentration nach der Liberalisierung in Europa gestützt. Marc Schmidli, Director Wirtschaftsberatung von PricewaterhouseCoopers Schweiz, sagt dazu: «Die grossen Unternehmen haben den Wandel als Chance erkannt und ihre strategischen und operativen Entscheide darauf ausgerichtet. Dieses aktive Handeln steht im Gegensatz zum eher reaktiven Verhalten kleinerer EVU, die in den aktuellen Veränderungen primär Risiken sehen und deshalb an einer Beibehaltung des Status Quo interessiert sind. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass vor allem die grossen Unternehmen ihre Wettbewerbsposition im Markt stärken und die kleineren Unternehmen im Zentrum von Übernahmen oder Fusionen stehen respektive zu strategischen Partnerschaften gezwungen werden.»
Zur Studie
Im ersten Halbjahr 2009 wurden Schweizer Energieversorgungsunternehmen (EVU) eingeladen, sich an der Studie «Wie hoch ist die Spannung im Schweizer Energiemarkt?» zu beteiligen. 101 Führungskräfte von schweizerischen EVU äusserten ihre Meinung zu Entwicklungen und Herausforderungen im Energiemarkt. Neben den grossen Akteuren mit Umsätzen von mehreren Hundert Millionen Franken (36 Prozent) haben auch kleinere und mittlere EVU (knapp 60 Prozent) mit einem erwirtschafteten Umsatz von weniger als 200 Mio. Franken an der Studie teilgenommen. Während rund drei Viertel der befragten Unternehmen weniger als 50'000 Endkunden bedienen, sind es 15 Prozent mit mehr als 100'000 Endkunden.
(cs/KMU Magazin)
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